Aurelia Gratzer LS 16:02
LS 16:02 bezeichnet eine Bodenarbeit in den Räumen der ada und bezieht
sich auf die zu diesem Zeitpunkt vorgefundene Lichtsituation. Von meinem
Standpunkt aus habe ich damit das Medium Malerei nicht verlassen,
sondern ähnlich meinen Bildern das zur Anwendung gebracht, was ich an
Malerei so sehr liebe – was mit interessiert und beschäftigt. Hierbei
spreche ich von Täuschung, Wahrnehmung, Zweideutigkeit, Licht und
Schatten, Oberfläche und der meditativen Tätigkeit ansich.
Notizen zu Raumfigurationen in der Malerei von Aurelia Gratzer
„Nichts ist im Verstand, was nicht zuvor in der Wahrnehmung wäre.“ (Thomas von Aquin)
Die Malerei von Aurelia Gratzer scheint auf den ersten Blick ein geschlossenes System von Flächen, Linien und Strukturen zu sein, wirkt dicht, kontrastreich, fast industriell. Manchmal blitzt ein Akzent von leuchtender Farbe in die Tiefe, sticht eine metallisch lichte Fläche hervor. Auch feinste Linienkonstrukte erleichtern Flächen, Fluchtpunkte leiten uns perfide in die Irre. Flächen in ihrer Beziehung zueinander könnten Räume sein. Die Betrachtenden aber entwickeln in der Wahrnehmung Bezugspunkte zur Realität, Erinnerungen an Raumkonstellationen, Objekte im Raum. Aber jeder Drang zur Vervollständigung des Angelegten im Kopf der Betrachtenden wird von der Malerin wiederum torpediert, das Kompositionsgefüge, scheinbar so klar, wird verunklärt, um es für die Malerei zu klären, um das Sehen zu leiten, es verharren zu lassen und um der Irritation Raum zu geben. Und plötzlich ist Tiefe da. Die Balance von Erinnerungen an Raum, Architektur und Objekt wird trügerisch gestört. Dies scheint eine Balustrade, hier führt eine Wand nach hinten, ein Geländer, ein Gitter, eine Mauer, was kommt nach vorn, was führt nach hinten, wo bleibt der verbleibende Raum, kann man sich da überhaupt aufhalten – nein, es sind Raumkonstruktionen, keine Räume für Menschen. Denn es ist gar keine Tiefe da. Es ist nur Malerei.
Bei der Betrachtung von Malerei, ja von Kunstobjekten im Allgemeinen, ist das sich selbst Zeit geben eine Grundvoraussetzung zu eigener Erkenntnisleistung. Also auch hier. Was wir schnell sehen, ist, dass es dieser Künstlerin nicht um eine subjektive Form von Entäußerung geht. Dass nicht der Moment zählt, dass Farbe nicht Emotion schreit, dass Handschrift nicht Gestus heißt. Was wir also sehen, ist, dass die Malerei alles andere als schnell entsteht. Diese präzisen Malereikonstrukte und Farbkompositionen erfordern eine minutiöse Planung, einen entschleunigten Umgang mit und präzisen Einsatz der malerischen Mittel. Alles im Bild, die Räume, die Linien, die Flächen und auch die Farbwahl werden überlegt eingesetzt, um das Bild als komplexes System zusammenzufügen, zu bauen. Und das sieht man.
Gebautes dient auch über den Umweg der Gebrauchsfotografie als Ausgangspunkt für diese Malerei. Die Künstlerin sammelt Anzeigenfotos aus Zeitungen, meist aus dem Immobilienteil, schlechte Fotos, manchmal wohl auch bearbeitet, die bei längerer Betrachtung ihre Fehler offenbaren, zum Beispiel mit mehreren Fluchtpunkten arbeiten oder Perspektiven erzeugen, fern vom realen Raum. Diese konstruierte, gewissermaßen auch dekonstruierte Realität wird von Aurelia Gratzer zur Gänze beziehungsweise in Ausschnitten zur Vorlage für ihre Malerei erhoben – Raumkonstellationen, die schon medial gefilterte Reflexionen von Realität sind und die durch die Übersetzung in Malerei nochmals gefiltert werden.
Die Linie nimmt Raum ein, ist immer auch eine gemalte Fläche, so Aurelia Gratzer. So werden in ihren Bildkonstruktionen grafische zu malerischen Elementen, so werden Liniengeflechte, Netze und Gitter als Binnenstrukturen der Flächen zu Farbwerten, die ebenso wie die Linien, Farben und Flächen dazu dienen, Raumwirkung zu erzeugen, Tiefen zu imaginieren, wie in einem Irrgarten der Perspektive und der assoziierten Raumerinnerungen.
Wie viel Sicherheit evoziert ein erster Blick auf diese Malerei – wie oft, wenn wir klar gesetzte Flächen und Linien, kombiniert mit glatten Farbflächen oder Linienstrukturen sehen, wenn alles rational erscheint, fast entemotionalisiert, neutral. Aber, und da kommen wir wieder zum wesentlichen Faktor Zeit, bei längerer Betrachtung wird uns der gesicherte Boden weggezogen, wird das eben noch Klare unsicher – wo führen die Linien hin, die Flächen sind, kein realer Raum will sich aus Elementen und Erinnerungen zusammenfügen, sondern die heterogene diverse malerische Konstruktion wird zum Raum für Malerei, einem imaginären Raum, den nur das gemalte Bild erzeugen kann, der nicht illusioniert, unsere Vorstellungen und Erinnerungen nicht einzulösen versucht oder zusammenbringt, einem Raum, der keine Harmonie der malerischen Elemente zaubern will, sondern das Konstruierte zeigt und die Vielschichtigkeit der Möglichkeiten etwas wahrzunehmen in großer malerischer Dichte offenlegt.
Diese Verdichtungen von Konstruktion und Malerei haben sich bei Aurelia Gratzer in den letzten Jahren immer mehr von erinnerten oder vorgefundenen Bezugssystemen entfernt, geklärt. Waren Interieurs oder Räume mit Objekten und Möbeln in den älteren Bildern noch durch unsere dafür gepolte Wahrnehmung leicht rekonstruierbar, so wirken diese Konstruktionen jetzt viel verschlüsselter, offener, sind immer mehr zu immanent malerischen Systemen geworden. Manchmal erzeugen sie möglicherweise durch die Irritation, dass die Dichte der Malerei immer Fläche ist und gar keine Tiefe ermöglicht, etwas fast Beklemmendes.
Überhaupt ist dieses komplexe Spiel mit der Fläche omnipräsent in der Malerei von Aurelia Gratzer. Flächen, die nie zur Tiefe werden können, so sehr es die gesetzten Farbwerte, die Sättigungen der Farbe und die Farbkontraste auch zu forcieren vorgeben – alles bleibt immer in der Fläche, alles bleibt immer Malerei.
Die Betrachtung dieser Malerei kann zu einem lustvollen Spiel mit Raummöglichkeiten und Unmöglichkeiten werden, die, von Aurelia Gratzer vorgegeben oder von unserer Wahrnehmung ergänzt, die Möglichkeiten des malerischen Raums erweitern.
Andreas Hoffer
Notes on Spatial Figurations in the Paintings of Aurelia Gratzer
„Nothing is in the mind that was not first in the senses“
(Saint Thomas Aquinas)
At first sight, the paintings of Aurelia Gratzer seem to be a closed system of sections, lines
and structures; compact, rich in contrast, almost industrial. Sometimes, an accent of
refulgent colour flashes into the depths, causing a metallically lustrous area to hit the eye.
In addition, exquisitely fine linear constructions alleviate sections; vanishing points
perfidiously lead us astray. In their relationship to one another, certain spaces might be
rooms. The observers, however, develop points of reference to reality as they scan the
pictures – memories of spatial constellations, objects in three-dimensional space. But
Aurelia Gratzer torpedoes every urge in the observer’s mind to complete the composition;
the compositional structure, seemingly clear, is made unclear in order to clarify painting
itself, in order to guide the eye, to let it linger and give scope for irritation. And suddenly,
we have depth. The balance between memories of space, architecture and objects is
illusively disrupted. Here we see a balustrade, there a wall leads to the back, a landing, a
grating, masonry; something comes to the fore, something leads to the back; where has
the remaining space disappeared to, can we linger here at all? – no; these are spatial
constructions, not rooms for people. Because there is no depth. It’s only painting.
When looking at painting and indeed at art objects in general, taking the time to do so is a
basic prerequisite for achieving cognition. This is true here as well. What we quickly realise
is that Aurelia Gratzer is not concerned with a subjective form of externalisation. It is not
the moment that counts, colour does not shout out emotion, personal touch does not
convey gesture. What we see, therefore, is that the painting is everything but “speed
painting”. These precise painterly constructs and colour compositions demand exact
planning, slow-motion treatment and a meticulous use of painterly instruments. Everything
in these paintings – the spaces, the lines, the sections, the choice of colour – is strategically
applied in order to structure, to build up the picture as a complex system. And this is
something you can see.
Edifices – often via commercial photography – serve as starting points for Gratzer's
paintings. The artist collects commercial photos from newspapers, mostly from the real
estate pages, bad photos, sometimes retouched, photos which on longer scrutiny reveal
their mistakes, for instance when they work with several vanishing points or generate
perspectives beyond or even contradictory to real space. Aurelia Gratzer elevates and to a
certain degree also deconstructs this construed reality into a totality, respectively into
sections, so that it acts as template for her painting – spatial constellations that are
reflections of media-filtered reality are filtered yet again by transposition into painting.
Every line takes up space, is always itself a painted area, says Aurelia Gratzer.
Accordingly, in her pictorial constructions, graphic elements become painterly ones, linear
meshes and grids – as interior structures – turn into colour values which, along with the
other elements, are used to generate spatial effects and imaginable depths resembling a
maze of perspectives and reconstructions of vaguely remembered spaces.
How much security is evoked at first sight of these paintings! A security we often feel
when we encounter clearly set sections and lines combined with smooth stretches of
colour or linear structures, when everything appears rational, almost de-emotionalised,
neutral. But – here, the essential factor of time comes in – on perusing them longer, safe
ground is pulled away from us, what just seemed so clear becomes unsure: where do
these lines lead to? We are thwarted when we try to compose real space out of elements
and memories – instead, the heterogeneous and diverse painterly construction becomes a
space for painting itself, an imaginary space that the painted surface alone is able to
generate, that doesn’t take effect as illusion, that doesn’t try to cater to or assemble our
imaginings and memories. A space that has no intention of conjuring up the harmony of
painterly elements, but shows what is construed, and, in profound painterly density,
reveals the complexity of the options of perception.
These densifications of construction and painting in Aurelia Gratzer’s work have in recent
years increasingly eschewed and purified themselves from remembered or given
reference systems. Whereas in the earlier pictures, interiors or rooms with objects and
furniture were still easily reconstructible through our perception, which is predetermined to
detect them, these constructions have been tending to become far more encoded,
increasingly turning into inherent painterly systems. Sometimes, irritatingly and often
uncannily, the sheer density of painted surfaces seems to render any perception of depth
impossible,
This complex play with the flat surface is omnipresent in Aurelia Gratzer’s paintings. Flat
surfaces can never achieve depth, no matter how much the values, saturations and
contrasts of colour applied purportedly thrust themselves to the fore – everything remains
flat, everything always remains painting.
Looking at these paintings can become a delightful game of spatial possibilities and
impossibilities, which, suggested by Aurelia Gratzer or complemented by our perception,
expand the possibilities of painted space.
Andreas Hoffer
1978 geboren in Hartberg, Steiermark
Lebt und arbeitet in Wien
1997 – 2003
Studium Mathematik LA, Universität Wien
Studium Bildnerische Erziehung, Akademie der bildenden Künste, Wien
1999 – 2004
Studium Malerei und Grafik, Akademie der bildenden Künste, Wien
1978 born in Hartberg, Austria
lives and works in Vienna, Austria
1997 – 2003
Studies Department of Mathematics, University of Vienna
Department of Science and Technology in Arts, Academy of fine Arts, Vienna
1999 – 2004
studies Vienna Painting Department, Academy of fine Arts, Vienna
Preise/ Awards and Grants
2011 West Price Finalist, Oaks, USA
2010 Strabag Art Award International, Vienna, Austria
Sammlungen/ Collections
Sammlung Strabag, Vienna, Austria
West Collection, Oaks, USA
Sammlung Lentos Linz, Austria
Sammlung bm:ukk – Artothek des Bundes, Vienna, Austria
Sammlung der Stadt Wien, Vienna, Austria
Sammlung Angerlehner, Austria
Sammlung Hanten-Schmidt, Cologne, Germany
Einzelausstellungen / Solo exhibitions
2017
Wanderhuhne, Galerie Hunchentoot, Berlin, Germany
Duken, mit Ch. Schirmer, Galerie Gmünd, Austria
2016
Antigone, bechter kastowsky galerie, Vienna, Austria
2014
Faber, Galerie Hunchentoot, Berlin, Germany
2013
Dusk, Galerie Brunnhofer, Linz, Austria
Malerei!, bechter kastowsky galerie, Vienna Austria
2012
Upstairs, mit Ch. Schirmer, Artist-in-Residence, art-lodge Verditz/Afritz, Austria
2011
Malerei, Galerie Hunchentoot, Berlin, Germany
Shaft, Strabag Art Lounge, Vienna, Austria
Hidden Structures, Galerie Brunnhofer, Linz, Austria
2010
It`s showtime, Galerie Hunchentoot, Berlin, Germany
Distanz, Galerie EMB, Liechtenstein
2008
Privatvergnügen, Galerie Brunnhofer, Linz, Austria
Toxic 43 – part I / part II, mit Ch. Schirmer, Galerie Bugdahn und Kaimer, Düsseldorf, Germany
2007
Mark Moore Gallery, mit Ch. Schmidberger, Ch. Schirmer, Santa Monica, USA
2006
distorted heroes, mit Ch. Schirmer, Berliner Kunstsalon, Berlin, Germany
Daphne, Galerie Brunnhofer, Linz, Austria
2005
Basis Raum, Artothek Galerie, Vienna, Austria
2004
Raumstrukturen, Galerie Exner, Vienna, Austria
Schneefrei, Galerie Schmidt, Austria
Gruppenausstellungen (Auswahl)/ Group exhibitions (selected)
2017
Kunstkompass Museum Angerlehner, Thalheim bei Wels, Austria
Sommer 17, bechter kastowsky galerie, Vienna, Austria
10 Jahre Galerie Hunchentoot, Galerie Hunchentoot, Berlin, Germany
2015
figur / struktur, RLB Kunstbrücke, Innsbruck, Austria
2014
12 zeigt 7, bechter kastowsky galerie, Vienna, Austria
2013
Vienna Calling, HDLU Zagreb, Croatia
Eröffnungsausstellung Museum Angerlehner, Thalheim bei Wels, Austria
Works on Paper, Galerie Hunchentoot, Berlin, Germany
10 Jahre LENTOS, Lentos Kunstmuseum, Linz, Austria
Galerie Brunnhofer, Kunsthaus Hafenstraße, Linz, Austria
2011
West Price, West Collection, Oaks, USA
Anton Faistauer Preis 2011, Galerie im Traklhaus, Salzburg, Austria
2010
Corridor, Galerie Oechsner, Nürnberg, Germany
Strabag Art Award 2010, Strabag Art Lounge, Vienna, Austria
2009
summer intervall 09, Galerie Bugdahn und Kaimer, Düsseldorf, Germany
2008
Face to Face, Galerie Brunnhofer, Linz, Austria
2007
Turn around 08, Galerie Brunnhofer, Linz, Austria
2006
EMB – Contemporary Art, Liechtenstein
2005
Figur und Wirklichkeit, BA-CA Kunstforum, Tiroler Landesmuseum, Innsbruck, Austria
Freiraum Malerei-österreichische Positionen, Schloss Ulmerfeld, Amstetten, Austria
Galerie Jansen, Cologne, Germany
2004
Take away, Galerie Lendl, Graz, Austria
Diplomausstellung, Akademie der Bildenden Künste, Vienna, Austria
Betreff Malerei, Galerie Brunnhofer, Salzburg, Austria
2003
Neue Bilder, Galerie Exner, Vienna, Austria
Triennale Istanbul 2003, Istanbul, Turkey
https://www.aureliagratzer.com